Zwischen Scham, Erinnerung und Verantwortung
Hand aufs Herz: Wer hat nicht irgendwo versteckt ein paar Gegenstände, die man lieber für sich behält? Sexpielzeug, private Videos, intime Fotos, Tagebücher, Liebesbriefe, peinliche Andenken aus wilden Jahren. Dinge, die uns vielleicht geprägt haben, uns mit schönen Momenten verbinden, die aber im falschen Kontext einfach nur unangenehm wirken würden.
Es gibt diese Dinge im Leben, die wir still mit uns herumtragen. Sie liegen in Schubladen, in Kisten, auf Festplatten oder in geheimen Ordnern. Dinge, die uns wichtig sind, die uns Freude bereiten oder uns in bestimmten Lebensphasen begleitet haben – und die wir gleichzeitig niemals unseren Kindern oder Enkeln in die Hände geben würden.
Doch was passiert damit, wenn wir einmal nicht mehr da sind?
Wie können wir sicherstellen, dass sie nicht in die falsche Hände geraten?
Während wir über Testament, Erbschaften oder Vorsorgevollmachten häufig sprechen, bleibt dieses ganz persönliche Thema oft im Verborgenen. Und doch ist es essenziell. Denn es berührt die Fragen: Wie möchte ich erinnert werden? Wie viel von mir soll bleiben? Und was darf ruhig mit mir gehen?
Die zwei Seiten der Intimsphäre
Jeder Mensch trägt eine öffentliche Seite und eine private Seite.
- Öffentlich: das, was wir bewusst teilen, was nach außen sichtbar sein darf.
- Privat: das, was uns ausmacht, aber nicht für die Augen anderer bestimmt ist.
Die Dinge, die wir „peinlich“ nennen, sind häufig genau diese Schnittstellen unserer verletzlichsten Momente: Lust, Leidenschaft, Unsicherheiten, Sehnsucht. - Für uns selbst haben sie Wert, manchmal sogar einen sehr großen.
- Für Außenstehende können sie befremdlich, irritierend oder schlicht unverständlich sein.
Das Problem: Nach unserem Tod haben wir keine Kontrolle mehr. Und genau das erzeugt bei vielen den Wunsch, vorsorglich etwas zu regeln.
Warum behalten wir diese Dinge trotzdem?
Die naheliegende Frage wäre: Warum nicht einfach sofort wegwerfen?
Dafür gibt es viele Gründe:
- Erinnerungen – Ein Liebesbrief aus der Jugend, eine Polaroid-Aufnahme aus einer wilden Phase oder ein Tagebuch aus der Zeit des Erwachsenwerdens sind oft emotionale Zeitreisen.
- Identität – Diese Dinge erzählen etwas über uns, über unsere Sehnsüchte, über unsere Entwicklung. Sie sind Bausteine unseres „inneren Archivs“.
- Freude & Lust – Gerade erotische Gegenstände oder Bilder sind Teil unseres gelebten Lebens. Sie sind Ausdruck von Lebendigkeit, von Intimität – und das darf man sich zugestehen.
- Schwierigkeit des Loslassens – Manche Dinge zu entsorgen, fühlt sich wie ein Verrat an der eigenen Vergangenheit an.
Kurz: Wir behalten diese Dinge, weil sie uns gehören, auch wenn sie nach außen nicht „vorzeigbar“ sind.
Die Herausforderung: Nach uns die Scham?
Stellen wir uns ein Szenario vor: Nach dem Tod räumen Angehörige das Haus, öffnen Kisten, Schubladen, Computer. Sie stoßen auf Dinge, von denen sie nie etwas wussten.
- Die Kinder finden alte Liebesbriefe, in denen wir eine andere Seite von uns gezeigt haben.
- Die Enkel stoßen auf erotische Fotos oder Objekte, die sie verstören könnten.
- Oder auf Aufzeichnungen, die ein sehr intimes, vielleicht auch verletzliches Bild von uns zeichnen.
Für uns selbst war all das harmlos, vielleicht sogar schön. Für die anderen könnte es Scham oder Irritation auslösen. Und so stehen wir vor der Frage: Wollen wir das riskieren – oder vorsorgen?
„Mir doch egal“ – oder doch nicht?
Viele sagen: „Was nach meinem Tod passiert, ist mir doch egal.“ Das ist eine legitime Haltung. Schließlich sind wir selbst nicht mehr da, um die Reaktionen zu erleben.
Doch andere spüren: „Nein, ich möchte nicht, dass meine intimsten Dinge Teil der Familiengeschichte werden.“
Das hat nichts mit Scham im klassischen Sinn zu tun, sondern oft mit Respekt. Respekt vor den eigenen Kindern, die vielleicht kein Bedürfnis haben, dieses Bild von uns zu sehen. Respekt vor dem Andenken, das wir hinterlassen möchten.
Es lohnt sich, hier ehrlich zu sich selbst zu sein:
- Ist es mir wirklich egal, was mit meinen intimen Dingen passiert?
- Oder möchte ich sicherstellen, dass sie nicht in falsche Hände geraten?
Mögliche Lösungen
1. Die „Vertrauensperson“
Eine der praktikabelsten Ideen: Eine Person unseres Vertrauens wird eingeweiht.
- Diese Person weiß, wo die Dinge zu finden sind.
- Sie verpflichtet sich, nach unserem Tod alles zu entsorgen.
- Wichtig: vorab fragen, ob die Person bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen.
So entsteht eine Art „Notfallplan“. Viele finden in einem engen Freund oder einer Freundin eher eine geeignete Person als in der eigenen Familie.
2. Klare Markierungen
Es gibt einfache Mittel, intime Dinge klar zu kennzeichnen.
- Kisten, Umschläge oder Ordner mit Aufklebern wie „Das kann weg!“.
- So wissen Angehörige sofort, was nicht durchgesehen werden muss.
- Im Shop von Vorsorge- und Nachlassportalen gibt es mittlerweile solche Markierungen genau für diesen Zweck.
3. Rückgabe statt Entsorgung
Manche Dinge – insbesondere Liebesbriefe – lassen sich zurückgeben.
- Wenn der/die Absender*in noch lebt, ist es oft ein wertvoller, ja berührender Akt, diese Briefe zurückzugeben.
- So schließen sich Kreise, ohne dass Nachkommen unfreiwillig zu „Lesern“ werden.
4. Digitale Vorsorge
Besonders heikel: digitale Daten.
- Intime Fotos oder Videos, gespeichert auf Festplatten, USB-Sticks oder in der Cloud.
- Private Ordner mit Tagebucheinträgen oder Chatverläufen.
Hier helfen: - Digitale Nachlass-Verträge bei Anbietern.
- Oder Passwörter, die nur einer Vertrauensperson zugänglich sind.
- Alternativ: regelmäßiges „Ausmisten“, um die Menge überschaubar zu halten.
5. Bewusstes Loslassen
Manchmal ist der richtige Weg, sich schon zu Lebzeiten von bestimmten Dingen zu trennen.
- Nicht alles muss bis zum letzten Tag bleiben.
- Eine bewusste „Entrümpelung“ kann befreiend wirken.
- Vielleicht reicht es, nur ausgewählte Erinnerungsstücke zu behalten, statt alles aufzubewahren.
Psychologische Dimension: Warum uns Scham so beschäftigt
Wenn wir über intime Dinge nach dem Tod sprechen, geht es eigentlich um Scham und Würde.
- Scham: die Angst, bloßgestellt zu werden.
- Würde: das Bedürfnis, in Erinnerung so gesehen zu werden, wie wir es möchten.
Die Balance ist schwierig: Wir wollen unser Leben frei leben – und gleichzeitig darüber bestimmen, wie viel von uns nach außen dringt.
Die Chance dahinter: Selbstbestimmung bis zuletzt
Das Nachdenken über intime Dinge ist mehr als nur eine praktische Frage. Es ist auch eine Einladung, sich mit dem eigenen Leben auseinanderzusetzen:
- Was gehört wirklich zu mir?
- Was darf bleiben, was darf gehen?
- Was ist Teil meiner Geschichte – und was nicht?
Indem wir uns diese Fragen stellen, übernehmen wir Verantwortung – für uns selbst und für die, die nach uns kommen.
Praktische Tipps zum Schluss
- Bestandsaufnahme machen – Welche Dinge habe ich, die intim oder peinlich wirken könnten?
- Entscheiden – Möchte ich, dass sie bleiben, oder sollen sie irgendwann verschwinden?
- Vertrauensperson benennen – Offen und klar besprechen.
- Kennzeichnung nutzen – Aufkleber oder Markierungen helfen enorm.
- Digitales regeln – Passwörter, Ordner, Clouds im Blick behalten.
- Loslassen üben – Manches jetzt schon entsorgen, um es leichter zu machen.
Fazit
Unsere intimen Dinge sind Ausdruck unserer Persönlichkeit. Sie erzählen Geschichten von Liebe, Lust, Sehnsucht, Verletzlichkeit. Wir haben das Recht, sie zu behalten – und zugleich die Verantwortung, zu entscheiden, was nach unserem Tod damit passiert.
Ob durch eine Vertrauensperson, klare Markierungen oder bewusste Rückgabe: Es gibt viele Wege, um sicherzustellen, dass diese Dinge respektvoll behandelt werden.
Denn am Ende geht es darum, in Würde erinnert zu werden – und gleichzeitig das Leben zu genießen, solange wir es leben.
👉 Frage an dich: Hast du schon mal darüber nachgedacht, welche deiner Dinge nach deinem Tod lieber niemand finden sollte?



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