„In a hundred years, there will be all new people.“
Dieser Satz aus dem Theaterstück All New People von Schauspieler und Regisseur Zach Braff hat sich 2012 in mein Herz eingebrannt.
In hundert Jahren wird es völlig neue Menschen geben.
Das klingt so schlicht und erschreckend – und doch liegt darin eine Wahrheit, die mich nicht mehr loslässt.
Ein Gedanke, der mich verfolgt
Momentan begegnen mir ganz viele Videos auf Social Media, die genau dieses Thema aufgreifen.
In 100 Jahren, da werden wir alle nicht mehr hier sein.
- Leute werden in unseren Häusern und Wohnungen leben.
- Unsere Dinge werden nicht mehr existieren, einfach weggeworfen.
- Keiner wird sich mehr an uns erinnern.
- Aber auch unsere Sorgen und Ängste sind verflogen.
Manchmal stelle ich mir genau das vor, wie die Welt in 100 Jahren aussieht.
Meine Wohnung gibt es vielleicht noch, aber andere Menschen leben darin. Meine Möbel, meine Bücher, meine Erinnerungen – irgendwann sind sie nicht mehr da. Weggegeben. Ausgemistet. Vergessen.
Und ich selbst? Ich werde längst nicht mehr hier sein.
Sei ehrlich: Was weißt du über deine Urgroßeltern? Weißt du, wie sie gelacht haben? Wie ihre Stimme klang? Welche Ängste sie hatten, welche Träume? Oder kennst du nur ein paar Daten, vielleicht eine Geschichte, die immer wieder erzählt wurde? Vermutlich sind sie nur Namen in einem Stammbaum und so wird es unseren Nachkommen auch mit uns gehen. Meine Enkel – wenn ich welche haben werde – werden sich vielleicht noch flüchtig an mich erinnern. Aber meine Urenkel? Sie werden nicht wissen sie, wer ich war. Was für ein Leben ich gelebt habe, was und wen ich geliebt habe, welche Hobbys und Interessen ich hatte. Es wird sich niemand daran erinnern.
Dieser Gedanke tut weh. Aber er macht mich auch irgendwie frei.
Die Wahrheit ist: Die meisten von uns verschwinden nach zwei, drei Generationen aus dem lebendigen Gedächtnis. Und genau deshalb ist die Frage so wichtig: Was willst du wirklich hinterlassen? Und vor allem: Wie willst du leben?
Niemand erinnert sich an mein Gerümpel
Wenn ich ehrlich bin: Vieles von dem, was ich horte, wird für die Menschen nach mir keine Bedeutung haben.
Die alten Kinokarten, die Briefe, die Kaffeetassen, die ich mal von jemandem geschenkt bekommen habe. Für mich sind das Schätze. Für andere: bedeutungsloses Zeug. Keiner wird sich irgendwann an mein Gerümpel erinnern. Also warum halte ich heute so sehr daran fest?
Stell dir deine Wohnung vor. All die Dinge, die du über Jahre gesammelt hast: Bücher, die du nie zu Ende gelesen hast. Klamotten, die du aufbewahrst „für irgendwann“. Erinnerungsstücke, die nur für dich alleine Bedeutung haben.
Und dann stell dir vor: Eines Tages räumt jemand anderes das auf. Deine Enkel oder völlig fremde Menschen. Sie werden deine Sachen nicht so betrachten wie du. Sie werden keinen Zusammenhang spüren, keine Emotion. Sie werden vieles wegwerfen, weil es für sie eben nur „Gerümpel“ ist, bedeutungsloser Kram.
Ein Schrank voller Kleidung, ein Keller voller Kisten, ein Regal voller Bücher – das alles ist Materie. Aber es ist nicht automatisch Erinnerung. Doch die Menschen, die nach uns kommen, haben oft keine emotionale Bindung zu unseren Dingen. Sie sehen in einem Teller nicht die Familienfeiern, die wir hatten. Sie sehen in einem Kleid nicht die Nacht, in der wir uns verliebt haben. Es sind nur Dinge.
Das klingt hart – aber es ist Realität. Und es führt zu einer entscheidenden Frage: Wenn niemand dein Gerümpel behalten will – warum hängst du heute noch daran?
Mir hilft dieser Perspektivwechsel tatsächlich, meine Dinge mit anderen Augen zu sehen und das ein oder andere Stück doch loszulassen!
Die Last des Aufhebens
Es ist schwer Dinge auszusortieren, vor allem weil Erinnerungen daran hängen. Aber wenn ich mir vorstelle, dass in 100 Jahren niemand mehr diese Dinge kennen oder brauchen wird – fällt es mir leichter, Dinge loszulassen. Wenn ich Dinge loslasse, lasse ich auch Stücke meiner Vergangenheit los. Und versuche so mehr im Jetzt zu leben!
Vielleicht ist es genau das: ein Geschenk an mich selbst und an die, die nach mir kommen. Dass sie nicht durch meine Schubladen wühlen müssen, auf der Suche nach Bedeutung. Dass sie nicht den Schmerz des Wegwerfens haben, weil ich es bereits für sie getan habe. Denn es sind ja auch meine Dinge, also sollte ich diese Aufgabe übernehmen udn nicht die Menschen nach mir.
Social Media und das digitale Erbe
Vielleicht denkst du jetzt: „Aber heute ist das doch anders! Wir leben in einer digitalen Welt. Unsere Fotos, Posts, Videos – das bleibt doch im Internet.“Ja, vielleicht.
Unser digitales Erbe wird länger sichtbar sein als die vergilbten Fotos unserer Großeltern. Aber wird es auch bedeutsam sein? Wird jemand in 100 Jahren unsere Instagram-Stories anschauen? Unsere WhatsApp-Nachrichten lesen? Unsere Selfies oder Fotos anschauen? Die Antwort ist: vermutlich nicht. So, wie wir heute die Tagebücher unserer Urgroßeltern nicht lesen, weil sie uns fremd sind. Wir leben in einer schnelllebigen Welt, in der auch digitale Spuren irgendwann im Rauschen verschwinden.
Social Media ist schnelllebig, genauso wie das Leben. Das digitale Erbe hinterlässt andere Spuren. Wer weiß, vielleicht gibt es irgendwann einen digitalen Avatar von mir, auch wenn ich schon tot bin. Den technisch wird vieles bald möglich sein. Ob ich das möchte, ist eine andere Frage, über die ich irgendwann einen extra Artikel schreiben werde.
Doch am Ende zählt nicht, wie lange Daten gespeichert werden. Es zählt, wie sehr sie jemanden berührt haben oder berühren. Und zwar jetzt!
Befreiung durch Vergänglichkeit
Es macht mich traurig, zu wissen, dass ich irgendwann nur eine Erinnerung bin – und auch die verblasst. Aber gleichzeitig nimmt es den Druck.
Wenn in 100 Jahren keiner mehr weiß, ob ich dünn oder dick war, ob ich erfolgreich war oder nicht, ob mein Bad geputzt war oder chaotisch – warum sollte ich mir heute so viele Sorgen darum machen?
- In diesem Wissen steckt Freiheit.
- Die Freiheit, weniger perfekt sein zu müssen.
- Die Freiheit, meine Zeit nicht an Erwartungen zu verschwenden, sondern an das, was mich erfüllt.
- Die Freiheit, echt zu sein.
Die Kunst des Loslassens
„Keiner wird sich irgendwann an dich und dein Gerümpel erinnern.“
Dieser Satz trifft ins Herz. Aber er ist auch eine Einladung. Eine Einladung, Ballast loszulassen. Nicht nur materiellen Ballast, sondern auch inneren. Zweifel, Vergleiche, Erwartungen.
Wenn ich Ballast loslasse, schaffe ich Platz für so viele andere Dinge – für Begegnungen, für Nähe, für Leichtigkeit.
Wenn ich mich von Erwartungen löse, werde ich echter. Ich kann das verwirklichen, was mir wirklichen am Herzen liegt.
Wenn ich begreife, dass alles temporär ist, kann ich das Jetzt umso mehr schätzen.
Die Magie der kleinen Spuren
Wir denken oft, wir müssten Großes hinterlassen – ein eigens Buch, ein Haus,viel Geld, ein riesiges Erbe. Aber was bleibt wirklich?
Vielleicht liegt unser Erbe in den kleinen menschlichen Spuren:
- das Gefühl, bei mir immer willkommen gewesen zu sein
- ein Satz, den jemand von mir nie vergessen hat
- vielleicht war ich eine gute Freundin, immer mit einem offenen Ohr da
- ein Moment, in dem ich jemandem das Leben leichter gemacht habe
- vielleicht habe ich Menschen zu etwas inspiriert oder sie unterstützt ihre Träume zu verwirklichen
Sind das nicht die wahren Spuren, die zählen?
Meine 100 Jahre sind jetzt
Der Gedanke an das Ende verändert den Blick aufs Jetzt
Sich klarzumachen, dass in 100 Jahren niemand mehr hier sein wird, den wir heute kennen, verändert alles.
Plötzlich erscheinen viele Dinge kleiner:
- Der Streit um Oberflächlichkeiten.
- Die Sorge, wie wir auf andere wirken.
- Der Drang, alles perfekt zu machen.
Und andere Dinge werden größer:
- Die Zeit mit den Menschen, die man liebt
- Der Wert von echten Gesprächen.
- Der Zauber von Momenten und Erlebnissen.
Vielleicht ist die wichtigste Erkenntnis:
- Ich lebe meine 100 Jahre genau jetzt.
- Nicht in der Zukunft.
- Nicht in den Erinnerungen anderer.
- Sondern hier, heute, in diesem Moment.
Alles, was ich tue, alles, was ich sage, alles, was ich fühle – das ist meine Essenz. Das ist das, was bleibt, wenn auch nur für einen Augenblick.
Der Gedanke „In hundert Jahren wird es völlig neue Menschen geben“ wirkt im ersten Moment bedrückend.
Aber er ist eigentlich ein Geschenk. Denn er nimmt den Druck.
- Wir müssen nicht perfekt sein.
- Wir müssen nicht alles sammeln und aufheben.
- Wir müssen nicht für die Ewigkeit leben.
- Wir dürfen einfach hier sein. Heute.
Alles ist temporär – und genau deshalb kostbar
„In 100 Jahren wird es völlig neue Menschen geben.“
Dieser Satz ist für mich kein Grund zur Verzweiflung. Er ist ein Weckruf.
Ein Weckruf, nicht an Kleinigkeiten hängen zu bleiben.
Ein Weckruf, meine Essenz zu leben.
Ein Weckruf, Ballast loszulassen und das zu teilen, was wirklich zählt.
Denn wenn ich eines hinterlassen möchte, dann nicht Dinge, sondern Spuren im Herzen anderer.
Und vielleicht – nur vielleicht – ist das genug, um ein Stück von mir weiterleben zu lassen.