Vorgestellt: Trauerrednerin und Autorin Louise Brown im Gespräch – Teil 1

„Ich gehe aus einem traurigen oder tragischen Grund in eine Familie, und wir reden eine Stunde über den Tod – und danach zwei oder drei Stunden über das Leben.“ Louise Brown

Journalistin, Trauerrednerin und Autorin Louise Brown befasst sich auf vielen Ebenen mit dem Leben und dem Tod – wie in unserem Interview sehr schnell deutlich wird. Im ersten Teil sprechen wir vor allem über ihr intensives Buch „Was bleibt, wenn wir sterben – Erfahrungen einer Trauerrednerin“ und über den Umgang mit Trauernden.

Mirjam Blake: Liebe Louise Brown, vielen Dank, dass Sie sich für uns Zeit nehmen. Ich habe 1.000 Fragen an Sie, weil die Themen Tod und Trauer sowie Ihre Arbeit so vielfältig sind.

Gene Glover /© Diogenes Verlag
Gene Glover /© Diogenes Verlag

Louise Brown: Es ist interessant, dass Sie das sagen, denn es wird immer davon ausgegangen, dass der Tod ein Tabu-Thema sei. Aber wenn man Räume anbietet, um darüber zu sprechen, sei es eine Lesung oder ein Gespräch auf dem Friedhof, merkt man, dass viele Menschen sich dazu Gedanken machen. Jeder kommt mit dem Tod in Berührung, das ist einfach nicht vermeidbar. Auch wenn es in der Presse anders suggeriert wird, zeigen diese Gespräche, dass die Menschen einen Bedarf haben, sich darüber auszutauschen.

Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich mich mit diesen Themen weiterhin so intensiv beschäftigen würde. Aber es geht immer tiefer und weiter und das finde ich sehr spannend.

 

Ihre Arbeit rund um das Sterben ist sehr facettenreich. Von Haus aus sind Sie Journalistin. Nach dem Tod Ihrer Eltern kamen viele weitere Tätigkeiten dazu: Sie arbeiten seit Jahren als Trauerrednerin. 2021 ist Ihr Buch „Was bleibt, wenn wir sterben“ im Diogenes Verlag erschienen. Zudem sind Sie Podcasterin für den Deutschlandfunk mit der Reihe „Meine perfekte Beerdigung“. Sie haben die Veranstaltung „Death Cafe“ in Hamburg initiiert und moderiert, um eine Möglichkeit zu schaffen, sich mit dem Tod in lockerer Atmosphäre auseinanderzusetzen. In diesem Jahr ist Ihre Reihe „Friedhofsgeschichten“ beim Online-Magazin „Trauer Now“ gestartet – habe ich noch etwas vergessen?

Im Herbst erscheint ein neues Buch von mir, ein Arbeitsbuch zu „Was bleibt, wenn wir sterben“. Es heißt „Was bleibt, wenn wir schreiben“. Es handelt sich um ein Journal für die Zeit der Trauer. Inspiriert wurde ich dazu von den Lesungen und den vielen berührenden Gesprächen dort mit trauernden Menschen.

Aber auch, weil mir erst durch den Schreibprozess von meinem ersten Buch, „Was bleibt, wenn wir sterben“ viele Dinge bewusst geworden sind – zum Beispiel, was die Trauer in mir tatsächlich ausgelöst hat. Es ist ja oft so: Erst wenn man etwas zu Papier bringt oder ausspricht, versteht man, was in dem eigenen Kopf steckt.

Ich bin auf das neue Buch sehr gespannt, komme aber noch einmal auf Ihr erstes Buch zurück. Mir ist aufgefallen, dass darin das Wort „Kraft“ häufig vorkommt. Woher nehmen Sie die Kraft, um sich so intensiv mit Tod und Trauer zu beschäftigen. Haben Sie als Trauerrednerin eine gewisse „Routine“, die es Ihnen leichter macht?

Die Arbeit als Trauerrednerin hat selbst nach acht Jahren nicht an Intensität verloren. Im Gegenteil: Ich habe eher das Gefühl, dass sie manchmal fast noch intensiver wird. Heute arbeite ich für unterschiedliche Bestatter, die verschiedene Arbeitsweisen haben.

Meine Kraftquellen für die Arbeit als Trauerrednerin ziehe ich vor allem aus meinem Alltag. Ich habe zwei Kinder und die holen mich sofort aus den Gedanken an die Trauer raus. Wenn ich etwa nach einer Abschiedsfeier zur Kita fahre, und mit meiner Tochter einen Regenwurm anschaue, den sie auf der Straße entdeckt hat.

Obwohl das vielleicht seltsam klingt, ziehe ich auch Kraft aus der Arbeit. Denn sie ist tatsächlich lebendig, auch wenn man sich das von außen nicht vorstellen kann. Ich gehe aus einem traurigen oder tragischen Grund in eine Familie, und wir reden eine Stunde über den Tod – und danach zwei oder drei Stunden über das Leben. Es geht in dieser Arbeit also vor allem um das Leben. Zudem fühle ich mich als Trauerrednerin nützlich. Auch das gibt mir Kraft, diesen Beruf auszuüben.

Sie gehen in Ihrem Buch auf so viele Aspekte rund um Tod und Trauer ein, dass ich es nicht zusammenfassen kann. Sie machen auch viele Lesungen. Sagen Sie uns, welchen Fokus Sie bei Ihren Lesungen setzen?

Ich führe durch das Buch, lese – und erzähle vor allem. Wie das Buch besteht die Lesung aus drei Ebenen: aus meiner eigenen Geschichte, aus den Geschichten der Verstorbenen und aus den generellen Beobachtungen zu den Themen Tod, Trauer und Sterben. An diesen Abenden geht es auch um die Liebe und das Leben. Ich versuche, diese Stunden möglichst mit Leichtigkeit und Lebendigkeit zu gestalten.

Eine Aussage aus Ihrem Buch hat mich sehr gepackt: „Was uns nicht umbringt, bringt uns manchmal fast um. Und was uns fast umbringt, kann tiefe Risse und Narben hinterlassen.“ Wenn Sie mit Trauernden zu tun haben, raten Sie ihnen manchmal zu einer Trauerbegleitung?

Nein, ich halte mich da zurück. Als Trauerrednerin begleite ich die Menschen in dieser Zeit. Ich zeige ihnen, dass ich mitfühle und mitdenke. Ich höre vor allem zu.

Zu dem Zitat: Das führt auf den Spruch „Die Zeit heilt alle Wunden“ zurück. Diese Aussage finde ich schwierig, denn aus meiner Sicht heilt die Zeit nicht alle Wunden. Wir lernen nur besser mit unseren Wunden zu leben.

Können Sie einen Tipp geben, wie man mit Trauernden umgehen sollte? Was ist eine gute Herangehensweise, wenn ein Mensch einen Verlust erlebt hat?

Bitte keine Floskeln verwenden wie: „Das wird irgendwann wieder besser.“ Nicht die Straßenseite wechseln, wenn man weiß, dass ein Mensch gerade eine liebe Person verloren hat. Nicht einfach fragen „Wie geht es Ihnen?“ sondern lieber „Wie geht es Ihnen heute?“ oder „Wie geht es Ihnen gerade in diesem Moment?“ Man kann auch nach sechs Monaten diese Fragen stellen. Ich finde es schwierig, wenn das Umfeld erwartet, dass man mit seiner Trauer ab einer gewissen Zeit durch sein sollte. Die Trauer ist nicht plötzlich irgendwann vorbei.

Man kann auch einen Kuchen vorbeibringen oder auf andere Weise praktisch unterstützen, etwa die Gartenhecke schneiden, wenn die trauernde Person dazu gerade nicht kommt.

Ich persönlich finde es auch schön, eine Karte oder einen Brief an die trauernde Person zu schreiben. Hat man jedes Jahr eine Geburtstagskarte an eine Person geschickt, die gestorben ist, könnte man diesen Gruß auch nach ihrem Tod an die Angehörigen schicken, um weiterhin in Kontakt zu bleiben.

Für Trauernde ist es oft wertvoll zu spüren, dass sie nicht allein sind und andere Menschen an sie denken.

Führen Sie eine Statistik oder können Sie in etwa sagen, auf wie vielen Trauerfeiern Sie gesprochen haben?

Ehrlich gesagt habe noch nie nachgezählt. Es sind aber sicher einige 100…

Zu Beginn Ihres Buches sagen Sie, die Arbeit habe Ihnen gezeigt, „dass wir meist mehr sind, als wir zu sein scheinen und wir alle überraschende und widersprüchliche Seiten haben.“ Wie schaffen Sie es als Trauerrednerin, Brüche im Lebenslauf, sowie Ecken und Kanten so unterzukriegen, dass Sie die Verstorbenen ehren und gleichzeitig den Erwartungen der Hinterbliebenen gerecht werden?

Wir sind alle komplexe Wesen und niemand hat eine vermeintlich intakte Lebensgeschichte. In einem Leben gibt es immer wieder Brüche und Hürden. In den Trauergesprächen kommen auch die weniger einfachen Seiten eines Menschen zutage. In der Mehrheit der Fälle erlebe ich, dass die Hinterbliebenen möchten, dass auch die schwierigeren Dinge in der Trauerrede angesprochen werden. Hier zeigt sich vielleicht der Unterschied zu einer Trauerrede vor zwanzig Jahren, in der ein verstorbener Mensch nur gehuldigt wurde.

Ich möchte versuchen, den einzelnen Menschen so authentisch wie möglich darzustellen, stelle aber ein Leben stets in liebevoller Betrachtung dar.

Haben Sie dabei auch das Gefühl, dass Sie den Verstorbenen nah kommen, also einen Draht zu Ihnen aufbauen, ohne sie gekannt zu haben?

Es ist unterschiedlich – in einigen Fällen weniger, in anderen ganz stark. Vor kurzem habe ich die Trauerrede für einen Vater geschrieben, der zu seiner Tochter ein enges Verhältnis hatte. Sie haben zum Schluss sogar zusammengewohnt und sie hat ihn gepflegt. Ich hatte das Gefühl, dass er mir beim Schreiben über die Schulter guckt – nicht auf eine unheimliche Art, sondern aus einem wohlwollenden Grund. Als wolle er sichergehen, dass es für seine Tochter ein guter Abschied wird. Die zwei Wochen, in denen ich mich mit ihm und der Tochter beschäftigt habe, waren intensiv und schön.

Im zweiten Teil unseres Interviews sprechen wir mit Louise Brown über Death Cleaning, Death Positivity, ihre Serie „Friedhofsgeschichten“, ihren Podcast „Meine perfekte Beerdigung“.