Vorgestellt: Trauerrednerin und Autorin Louise Brown im Gespräch – Teil 2

„Ich finde es gut, wenn wir offener und unverkrampfter über die Themen Tod, Sterben und Trauer reden können – denn sie gehören zum Leben.“ Louise Brown

Im ersten Teil unseres Interviews haben wir von Louise Brown bereits viele spannende Einblicke in ihre Arbeit als Trauerrednerin und Autorin erhalten. Weiter geht es nun mit Death Cleaning, Death Positivity, Friedhofsbesuchen, Trauerarbeit mit Kindern und Wünschen für die eigene Bestattung.

Mirjam Blake: Für Ihre Reihe „Friedhofsgeschichten“ treffen Sie sich mit Trauernden an Grabstätten. Warum ist es für so viele Menschen bedeutend, einen Ort der Erinnerung an die Toten zu haben?

Gene Glover /© Diogenes Verlag
Gene Glover /© Diogenes Verlag

Louise Brown: Ich habe bisher einige Gespräche für die Serie geführt und ich höre das immer wieder: Auch wenn der Zugehörige nicht mehr so oft zum Grab geht wie in der Anfangszeit, ist es für sie wichtig und tröstlich, zu wissen, dass es diesen Ort gibt. Eine Gesprächspartnerin hat gesagt, dass die verstorbene Person an diesem Ort noch für sie greifbar sei. Eine andere sagte, dies sei der Ort, an dem sie in ihrem hektischen Alltag Zeit und Ruhe finden würde, um zu trauern; es sei ihr Trauerort.

Nicht nur das Grab bleibt den Hinterbliebenen, viele haben zudem einen materiellen Nachlass der Verstorbenen geerbt. Auf Mein Letzter Koffer® geht es auch um das Thema „Death Cleaning“, Aufräumen, Aufbewahren etc. – deshalb war es spannend zu lesen, dass Sie in Ihrem Buch darauf eingehen, wie man mit dem Nachlass umgeht. Können Sie zusammenfassen, was Sie über Erinnerungsstücke denken?

Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass ich es unfassbar schwer fand, das Haus meiner Eltern auszuräumen. Schon das Wort „ausräumen“, das klingt nach „rausschieben und weg“. Es gibt die Objekte, die materiellen Wert haben und dann gibt es die Objekte, die keinen materiellen Wert haben, wie eine zerschlagene Tasse, die jedoch die Lieblingstasse meiner Mutter war. Da steht man in diesem Haus und muss überlegen, was behalte ich von meinen liebsten Menschen und was nicht?

Ich denke, es hilft, wenn man diesen Prozess mit Menschen teilen kann und man sich selbst genügend Zeit dafür gibt. Manchmal hilft auch, spontan und unmittelbar zu entscheiden, was man behalten möchte.

Nach der Erfahrung mit den vielen Objekten meiner Eltern, die sie ein Leben lang gesammelt haben, würde ich selbst, wenn ich wüsste, ich nähere mich meinem Lebensende, mit meinen Kindern darüber sprechen, ob es etwas von meinen Dingen gibt, die sie später haben möchten. In einem Gespräch mit seinen Liebsten kann man erklären, welche Bedeutung bestimmte Objekte haben. Aber auch schon vorher kann man sich, glaube ich, Gedanken machen, ob das, was man alles in einem Leben zusammenträgt, wirklich Wert hat – und ob man sich von dem einen oder anderen befreien kann.

Vielleicht ist es auch eine Generationsfrage – heute haben wir Trends wie Minimalismus und die Reduktion von Materiellem. Doch auch der Tod und die Trauer werden öffentlich anders dargestellt als noch vor 10 Jahren. Ich denke an die RTL-Doku „Sterben für Anfänger“, Bestatter oder Tatortreiniger, die auf Instagram zu Influencern werden oder fiktive Serien mit solchen Stoffen. Ich frage daher provokativ: „Wird der Tod zum Life-Style-Thema?“

Ein Lifestyle-Thema vielleicht nicht, allerdings wird die Offenheit, den Tod in den Medien zu thematisieren, möglicherweise größer.

Aus meiner Sicht scheint es in den letzten Jahren mehr Bücher, Serien, Instagram-Accounts zu geben, die den Tod und der Trauer in den Mittelpunkt stellen. Vielleicht ist das die „Death Positivity“-Bewegung, die aus den USA und England zu uns herüberschwappt. Ich finde es gut, wenn wir offener und unverkrampfter über die Themen Tod, Sterben und Trauer reden können – denn sie gehören zum Leben.

Werden Kinder in der heutigen Zeit eher außen vorgehalten oder mitgenommen zu Trauerfeiern?

Ich erlebe es als Trauerrednerin häufiger, dass Kinder bei Beerdigungen anwesend sind. Viele Eltern fragen heute ihre Kinder, ob sie mitkommen wollen, und sie können selbst drüber entscheiden. Ich selbst finde es wunderbar, wenn auch kleine Menschen bei einer Trauerfeier dabei sind, das macht einen Abschied auch ehrlich und lebendig.

Neulich habe ich eine Trauerrede gehalten und wir sind anschließend ans Grab gegangen. Die Enkelkinder haben jeweils eine Tulpe in der Hand gehalten und angefangen, mit den Blumen zu fechten. Ich glaube, dem verstorbenen Opa hätte das gut gefallen.

Vermitteln Sie auch Ihren Kindern, dass der Tod zum Leben gehört?

Das ist mir wichtig, da ich selbst diese Erfahrung nicht hatte. Auch das war ein Grund dafür, weshalb ich mich mit meiner Trauer um meine Eltern schwergetan habe: Ich hatte keinerlei Erfahrung mit Tod oder Trauer. Meine Eltern haben ihre Trauer nie gezeigt. Es war in unserer Familie ein Tabu-Thema. Das möchte ich gern anders machen.

Es ist nicht so, dass ich jeden Tag darüber spreche oder detailliert mit meinen Kindern über meine Arbeit rede. Aber wenn mein Sohn mich fragt „Wie war’s heute?“, dann erzähle ich zum Beispiel, dass ich auf einem Friedhof war und viele Graugänse gesehen habe. Oder, dass der Sarg in der Kapelle grün gestrichen war. Für sie ist es inzwischen normal, dass Mama ihre schwarze Kleidung anzieht und zu einer Trauerfeier fährt.

In Ihrem Podcast „Meine perfekte Beerdigung“ kommen ganz unterschiedliche Charaktere zu Wort, die sich bereits konkrete Gedanken über ihre eigene Trauerfeier gemacht haben. Ist auch das eine Generationenfrage – fällt das älteren Menschen schwerer?

Das würde ich nicht sagen. Nach meiner Erfahrung machen sich viele Menschen darüber Gedanken. Ich habe häufig erlebt, dass eine verstorbene Person ihre Beerdigung nicht im Detail durchgeplant hat, aber schon zu Lebzeiten den einen oder anderen Liedwunsch aufgeschrieben hatte.

Neulich habe ich die Trauerrede für einen Vater geschrieben, der mit seinem Sohn besprochen hatte, wo er nach seinem Tod begraben wird. Er wusste, dass er auf einen Waldfriedhof kommen wollte, und fand die Vorstellung tröstlich, dass er unter einem großen, strammen Baum liegen würde.

Dann werde ich zukünftig mehr Menschen in meinem Umfeld danach fragen.

Ich hätte dieses Feedback vorher selbst nicht erwartet. Gerade im Rahmen dieses Podcasts fand ich die Reaktionen spannend, als ich die Gesprächspartner und -partnerinnen fragte, ob sie sich vorstellen können, mit mir über ihre Beerdigung zu sprechen. Die meisten haben mit einem: „Das ist ja ein spannendes Thema. Ja, ich würde gern erzählen, welche Gedanken ich mir dazu gemacht habe“ reagiert. Es klang für mich wie: „Endlich fragt mal jemand!“

Im Intro zur 2. Staffel Ihres Podcasts heißt es, dass Sie selbst noch nicht genau wissen, was Sie sich für Ihre eigene Beerdigung wünschen – hat sich das im Laufe der Gespräche geändert?

Nein (lacht), das nicht. Ich habe noch keine genauen Antworten. Doch die Reihe hat bei mir für einige Impulse gesorgt, wie man eine Trauerfeier gestalten kann. Mir war vorher beispielsweise nicht klar, wie tröstlich es sein kann, wenn es in einer Kapelle schön duftet. Darüber habe ich in einer Folge etwa mit einem Trauerfloristen gesprochen.

Er hat mir übrigens auch erzählt, dass alles, was auf einem Grab wächst, wahrscheinlich dahin gehört – auch die Wildblumen. Das hat mir etwas Druck herausgenommen, dass das Grab meiner Eltern, zudem ich eine längere Anfahrt habe, immer sehr ordentlich aussehen muss.

Besonders in Erinnerung bleibt auch für mich die Podcast-Folge, in der ich mich in einem Begräbniswald an der Ostsee wiederfand, einer Gegend, in der ich in Deutschland aufgewachsen bin. Der Begräbniswald liegt an der Steilküste direkt am Strand. Die Vorstellung, dass meine Kinder an den Strand gehen, sich einen schönen Strandtag machen und hinterher noch Mama besuchen oder umgekehrt, finde ich schön. Ich habe also viele Gedanken in meinem Kopf… vielleicht muss ich darüber noch eine Staffel machen…

Ich finde interessant, dass Sie nie geplant haben, sich beruflich mit Tod und Trauer zu befassen. Planen Sie jetzt konkret, wie viel Sie sich in Zukunft mit diesen Themen auseinandersetzen werden – oder könnte es sein, dass Sie sagen „Jetzt reicht es erstmal“?

Nach „Was bleibt, wenn wir sterben“ dachte ich, auf eine Art mit meiner Trauergeschichte abgeschlossen zu haben. Jedoch war das Gegenteil der Fall. Eher hat es für neue Anregungen und Gedanken gesorgt. Die Gespräche mit den Menschen bei den Lesungen und dem Podcast schenken mir immer wieder neue Gedanken und Ideen. Auch ist mir bewusst geworden, dass es unmöglich ist, mit der eigenen Trauer abzuschließen: die Trauer endet ja nie, man trägt sie immer mit sich.

Und das Thema an sich ist so facettenreich. Es gibt für mich also noch viel zu lernen. Wahrscheinlich wird es mich ein Leben lang beschäftigen. Denn der Tod, die Trauer und das Sterben: Alle drei sind Lebensthemen.

Liebe Frau Brown, darauf sind wir sehr gespannt. Vielen Dank für diese wertvollen Einblicke und tiefgreifenden Beobachtungen. Wir freuen uns auf Ihre nächsten Projekte!