Wusstest du, dass es biografische Hörbücher nicht nur für Promis gibt? Jeder kann für den privaten Gebrauch das eigene Leben vertonen lassen. Anstatt zum Beispiel Fotos in ein Album zu kleben oder ein Fotobuch digital drucken zu lassen, werden hörbare Erinnerungen zusammengetragen. Wir meinen: Das klingt nach großem Trendpotential. Hier erfährst du mehr über die Hintergründe und die Erstellung von solchen „Erinnerungshörbüchern“.
Audiobiografin bewahrt die Stimme von Todkranken
Da das Phänomen biografisches Hörbuch im deutschsprachigen Raum noch nicht so stark etabliert ist, lassen sich die Ursprünge schlecht nachvollziehen. Fakt ist jedoch, dass Radiojournalistin Judith Grümmer mit ihrem Projekt „Familienhörbuch“ bereits seit 2004 in diesem Bereich arbeitet. Sie hat eine schöne Bezeichnung für diese besondere Aufgabe gefunden und nennt sich „Audiobiografin“. Denn sie trifft todkranke Menschen, um deren Lebensgeschichte zu vertonen – gesprochen mit deren Stimme. Seit 2019 gibt es die gemeinnützige gGmbH Familienhörbuch, die sich über Spenden finanziert. So wird es jungen sterbenskranken Eltern ermöglicht, ein Hörbuch für ihre Kinder und Angehörigen aufzunehmen, ohne die Produktionskosten von circa 5.000 Euro aufbringen zu müssen.
Puh, ganz schön emotional, das als Elternteil zu lesen. Da kommen direkt viele Fragen in den Sinn: Was würde ich meinen Kindern wohl mitgeben wollen. Welche Geschichten aus meinem Leben, welche Erfahrungen würde ich teilen? Welche Wünsche für ihre Zukunft, würde ich ihnen mitgeben, wohl wissend, dass ich sie selbst nicht miterleben kann?
Familienhörbuch: Ein Herzensprojekt
Inzwischen erstellen 40 JournalistInnen die Aufnahmen und 20 Ehrenamtliche kümmern sich um die Abwicklung. Für die Aufnahmen nehmen sich die Profis mehrere Tage Zeit, um in die Tiefe zu gehen. Sie stellen dabei auch überraschende Fragen, um ihr Gegenüber zur Reflektion zu bringen. Weitere Hilfsmittel zeigen Wirkung: Die Eltern bringen beispielsweise Fotoalben mit, um die Eindrücke aus Kindheit und Jugend zu schildern. Später im Tonstudio entstehen daraus Hörbücher mit Kapiteln zum Lachen und zum Weinen. Für die HörerInnen wird daraus ein sehr intensives Erlebnis und ein wertvoller Schatz. Die Kinder können beispielsweise zum Kapitel mit der jeweiligen Lebensphase „springen“, in der sie selbst stecken. Das Familienhörbuch wird sie ein Leben lang begleiten.
Die Nachfrage nach dieser Form des autobiografischen Hörbuchs ist groß. Am liebsten würde Judith Grümmer ihr Projekt fest im Gesundheitssystem verankern – quasi als Dienstleistung, die allen sterbenskranken Eltern von jungen Kindern kostenlos zur Verfügung steht.
Erinnerungshörbuch – ein Podcast über dein Leben
Generell kann jeder, der den entsprechenden Preis zahlt, sich professionell die eigene Audio-Biografie erstellen lassen. Da Hörbücher und -spiele sowie Podcasts ungebremst im Trend liegen, könnte man meinen, auch biografische Hörbücher seien bereits etablierter. Aber immerhin, du wirst auf dem freien Markt fündig. Es gibt eine Vielzahl eher kleinerer Anbieter, die eine solche Produktion mit dir aufnehmen – auch im Videoformat. Die Kosten variieren je nach Länge und Aufwand des Hörbuchs stark. Wenn du nach „biografisches Hörbuch“ oder „Audio-Biografie“ googelst, wirst du entsprechende Angebote finden.
Audio-Erinnerungen selbst aufnehmen
Um die Stimmung etwas zu heben: Nicht erst am Lebensende machen Erinnerungshörbücher Sinn. Du kannst jederzeit selbst eine Erinnerung im Audio-Format produzieren. Für die ersten Schritte reichen einfache Mittel, auch ohne das Equipment eines Podcast-Profis. Lade dir dafür eine kostenlose Audio-Recorder-App auf dein Handy, um ein paar Geschichten aus deinem Leben aufzunehmen. Suche online nach einfachen, kostenlosen Podcast-Schnittprogrammen wie das OpenSource-Format Audacity. Auf YouTube gibt es zahlreiche Tutorials, die dir den Start mit den gängigsten Programmen erleichtern.
Nimm dir für den Anfang ein kleines Projekt vor: Mach zum Beispiel eine Audio-Erinnerung darüber, wie dein 18. Geburtstag abgelaufen ist. Wie hast du gefeiert? Wer war alles dabei? Such die Lieder raus, die damals in den Charts waren. Dann spiel ein bisschen mit dem Aufnahmeprogramm. Kleiner Tipp: Mach es lieber kurz. Fünf Minuten oder weniger reichen. Schick die Audiodatei (je nach Größe per E-Mail oder Daten-Transfer-Programm) an Menschen, die deinen Geburtstag mit dir gefeiert haben. Das wird sicher eine lustige Überraschung!
Audio-Erinnerungen von der eigenen Familie
Die Möglichkeiten sind unbegrenzt: Als Elternteil kannst du dir angewöhnen, nicht nur Fotos und Videos von deinen Kindern zu machen, sondern ebenfalls ihre „Sounds“ aufzunehmen. Theoretisch kannst du auch den Ton von Videos auf deine Hörbücher übertragen – aber das ist dann schon die Kategorie für Fortgeschrittene. Die Großeltern freuen sich bestimmt, wenn sie eine gebrannte CD bekommen, auf der die Enkel die bekanntesten Märchen nacherzählen oder ihre ersten Stücke auf dem Klavier vorspielen.
Umgekehrt ist es eine große Bereicherung sich mit den eigenen Eltern oder Großeltern einen Nachmittag hinzusetzen, um sie auszufragen und dabei das Aufnahmegerät laufen zu lassen. Die „Audiobiografin“ hat nämlich recht: Es ist etwas ganz anderes, ob wir uns daran erinnern, was diese Generationen zu berichten haben oder ob wir hören, wie sie selbst davon erzählen – mit ihrer Stimme, mit ihrer Wortwahl und ihrem Tonfall. Ein weiterer Pluspunkt ist die Echtheit des Moments: Wer eine Autobiografie schreibt, wählt die Worte genau. Beim Gespräch kommt so manches zu Tage, was sonst höchstens zwischen den Zeilen steht.
Sind digitale Erinnerungen weniger wert?
Ein großer Teil unseres Lebens spielt sich bereits virtuell ab. Das Thema „digitale Erinnerungskultur“ ist brandaktuell. Viele Museen bieten – gepusht durch die Corona-Pandemie – virtuelle Führungen an. Manche Ausstellung existiert bereits nur noch im virtuellen Raum. Während wir uns daran gewöhnen, kulturelles Erbe über digitale Wege zu erfassen, ist es doch konsequent, unser eigenes „digitales Erbe“ in entsprechender Weise aufzubereiten. Seien es digitale Fotos, Lieblingslieder oder eben andere Audio-Dateien.
Dieser Gedankengang kann noch weiterführen: Reicht es uns vielleicht, wenn haptische Erinnerungen zu digitalisieren anstatt alles aufzuheben? Wir können beispielsweise eine Mappe mit den Zeichnungen und Basteleien der Kids aufheben, den Rest abfotografieren und dann „ziehen lassen“. Wie ist es mit anderen Objekten, die wir angeblich zur Erinnerung brauchen, die jedoch oft in Kellern oder auf Dachböden verstauben? Vielleicht werden die Generationen nach uns virtuelle Räume mit den Erinnerungsstücken von Verstorbenen einrichten, die sie nach Belieben besuchen können.
Biografische Hörbücher werden sicherlich ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Etablierung der digitalen Erinnerung sein.