Vorgestellt: Die Bestatter von Ab unter die Erde im Interview – Teil 2

„Diese Arbeit verändert das Denken und den Blick auf dein gesamtes Leben.“

Im ersten Teil unseres Interviews mit Bestatterin Maria Kauffmann und Bestatter Robert Freitag von „Ab unter die Erde“ sind wir bereits tief in die Welt der modernen Bestattungskultur eingetaucht. In dieser Fortsetzung sprechen wir zum einen über die emotionalen Einblicke, die die beiden in ihrem Podcast vermitteln. Darüber hinaus thematisieren wir die praktischen Aspekte rund um die Arbeit als Bestatter – wie ständige Erreichbarkeit, Ausbildung und Quereinstieg. Erfahre, wie Mitgefühl, Engagement und Kreativität einen großen Unterschied in der Branche und für die Angehörigen machen können.

Mirjam Blake (Mein letzter Koffer): Ihr seid online auf vielen Kanälen präsent und verfolgt dort einen anderen Ansatz als viele deutsche Bestatter. Das fängt bei der Bildsprache auf eurer Webseite an und hört bei euren Social-Media-Videos auf. Ihr seid sehr authentisch und nahbar. Kommen die Trauernden über diese virtuellen Wege zu euch?

Robert Freitag: Das Digitale hat den klaren Vorteil, dass sich Nähe schnell herstellen lässt. Du kannst aber auch Distanz einhalten, je nachdem, wo der andere in seinem Verarbeitungsprozess steht. Manche wollen keine große Nähe und sich nicht zu sehr mit dem Tod auseinandersetzen.

Einmal hat uns eine Frau angerufen und mitgeteilt, dass ihr Ex-Mann stirbt. Wir haben per Zoom mit ihr gesprochen, um ein paar Fragen zu klären. Er saß anfangs nur daneben, da er sich noch nicht damit abgefunden hatte, bald zu sterben. Weil er Rennradfahrer war, haben wir gesagt: „Wir könnten die Urne doch mit dem Rennrad von Berlin aus nach Sachsen bringen.“ Dadurch ist er hellhörig geworden, hat sich überhaupt erst vor der Kamera gezeigt und am Gespräch beteiligt.

Maria Kauffmann: Die Menschen müssen in irgendeiner Form von uns gehört haben. Zum einen durch Mund-zu-Mund-Propaganda, weil andere eine klare Empfehlung ausgesprochen haben. Zum Teil haben wir sogar schon den zweiten oder dritten Verstorbenen aus einer Familie bestattet.

Oder sie haben uns in einem Podcast gehört – in unserem eigenen oder einem der vielen Podcasts, bei denen wir zu Gast sind. Wenn man uns sprechen hört, weiß man, wie wir arbeiten.

Ansonsten sind es andere Kontakte, über die Menschen zu uns kommen. Unsere Branche funktioniert so: Wir sprechen heute miteinander, aber du wirst mich vermutlich erst in den nächsten fünf bis zehn Jahren brauchen. Der ganze Bestatter-Marketing-Vertrieb ist verzögert.

Eure Podcast-Themen sind breit gefächert: Ihr redet mit Jugendlichen über den Tod, mit Leuten aus der Branche, mit Trauernden, die ihr begleitet habt. Was hat euch am meisten bewegt oder vielleicht sogar überrascht?

Maria: Die entsprechende Podcast-Folge ist noch nicht draußen. Wir sprechen darin mit Friedemann, dessen Frau verstorben ist. Normalerweise dauert es etwa ein Jahr, bis die Angehörigen zu uns in den Podcast kommen, aber er hat schon nach drei Monaten zugesagt. Ich konnte ihn lange nicht greifen. Er war sehr abgeschottet, sodass ich nicht wusste, wen er eigentlich verloren hat – obwohl ich normalerweise ein sehr feinfühliger Mensch bin. Diese Frage musste ich ihm in der Vorbereitung der Bestattung stellen: „Friedemann, wen hast du verloren?“ Und er sagte: „Die Liebe meines Lebens.“ Im Podcast gibt es einen Moment, in dem wir alle am Tisch sitzen und einfach nur weinen, weil so viel Schmerz dahinter ist.

So eine ähnliche Situation gibt es auch im Podcast zu Miko. Darin erzählt die Mutter eines verstorbenen Kindes die Geschichte rund um das Krankenhaus. Inzwischen sind wir mit ihr und ihrem Mann gut befreundet, trotzdem haben wir nie so detailliert darüber gesprochen. Ich habe deshalb bei der Aufnahme geweint, weil es so erschien, als würde in dieser Sekunde alles wieder passieren. Während sie spricht, kommt der gesamte Schmerz noch einmal aus ihr heraus. Wir hoffen, dass wir einerseits Leichtigkeit rüberbringen und andererseits der Situation Tribut zollen.

Wenn du einen Menschen verlierst, der eine unglaublich große Bedeutung für dich hatte, willst du gern, dass die ganze Welt einen Moment lang anhält und hinsieht. „Schaut euch an, wer da gegangen ist und wie schlimm es ist.“ Für einen selbst ist nichts mehr so, wie es einmal war. Diesen Moment können nur Menschen nachvollziehen, die jemand verloren haben, der so wichtig war oder diejenigen, die sehr feinfühlig sind. Es ist mir so wichtig, den Angehörigen Raum zu geben und sie sichtbar werden zu lassen. Das soll in unserem Podcast rüberkommen.

Ihr habt einen 24-Stunden-Notruf – schlaucht es manchmal, als Bestatter ständig erreichbar und an vielen Orten Deutschlands aktiv zu sein? Braucht ihr viel Motivation, um das aufrechtzuerhalten?

Robert: Gar nicht, aber das Telefon klingelt auch nicht ständig.

Maria: Ich hatte einen Fall in Niedersachsen. Ich sagte der Frau, sie soll mich direkt anrufen, wenn ihre Schwester stirbt, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Deshalb habe ich mein Telefon extra neben das Kopfkissen gelegt. Dann rief sie mich morgens um sieben Uhr an und sagte mir, dass ihre Schwester um ein Uhr in der Nacht gegangen sei. Ich fragte natürlich, warum sie sich erst jetzt meldet. Sie wollte mich schlafen lassen. Wenn wir mit den Kunden bereits die Vorsorge gemacht haben, wissen die meisten, dass sie Zeit haben.

Bei Hannes mit dem Rennrad, von dem Robert schon erzählte, kam der Anruf unerwartet. Als wir gesprochen hatten, hieß es noch, er hätte etwa ein Jahr. Wir standen in dem Moment mitten im Schnee, hatten die Kinder dabei. In so einer Situation ist es manchmal nicht so einfach.

Meine Kids wissen inzwischen, worum es sich handelt, wenn ich bei einem Telefonat weggehe. Auch wenn ich danach Tränen in den Augen habe, weil ich die Menschen schon länger begleite. Meine Kinder sollen sehen, dass diese Arbeit mir wichtig ist und dass ich sie aus einem Herzenswunsch heraus mache und nicht, weil es mein Job ist.

Robert: Hinter den Kulissen fangen wir sofort an, zu planen und abzustimmen, was die Menschen jetzt brauchen. Wir bieten in jedem Fall unsere Unterstützung an, in Sachen Einkleiden etc. Aber dieser Aktivismus ist oftmals gar nicht nötig. Es muss nicht Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt werden. Es genügt oft, hinzufahren oder ein Telefonat zu führen. Einige Kunden sagen: „Es reicht, wenn ihr morgen kommt, wir wollen uns noch verabschieden.“ Unterm Strich sind daher die meisten Aspekte gut planbar.

Für alle, die nun Interesse an eurem Berufsfeld bekommen haben: Ihr bietet eine Ausbildung zum Abschiedsbegleiter und Bestatter plus an. Wie habt ihr den Quereinstieg erfolgreich gemeistert?

© Ab unter die Erde
© Ab unter die Erde

Maria: Die Menschen wollen etwas anderes. Wenn du das vor Ort als Bestatter liebevoll und klar aufbereitest und viel Bildungsarbeit machst, kannst du dich gut etablieren.

Ich bin schon vorher Unternehmensberaterin und Gründungscoach gewesen. Es ist auch nicht das erste Unternehmen, das wir gegründet haben. Dementsprechend wissen wir, wie man mit einem Low-Budget startet, ohne sich gleich Räume mieten zu müssen usw. Viel kann über Kooperationspartner und über Kreativität abgedeckt werden. Man muss nicht gleich ein Rieseninvestment starten von vielen hunderttausend Euro.

Trotzdem rate ich den Teilnehmern an der Ausbildung, dass sie ein anderes Standbein beibehalten. Vielleicht ein paar Stunden in einem normalen Angestelltenverhältnis sind und nicht voll in die Selbstständigkeit als Bestatter oder Bestatterin einsteigen. Diese Arbeit verändert nämlich das Denken und den Blick auf dein gesamtes Leben. Ein anderer Job bringt einen wieder in die Realität zurück und zeigt, dass das Leben noch andere Seiten hat als Tod, Sterben und Trauerbegleitung. Mit drei Bestattungen im Monat kann man schon einen guten Nebenverdienst haben.

Wir bieten nach der Ausbildung eine Supervision gemeinsam in der Gruppe an. Wir werden einmal im Monat gemeinsam per Zoom sprechen und Fragen klären.

Habt ihr schon eure eigene Bestattung und Trauerfeier geplant?

Maria: Zuerst war ich der Meinung, ich will mich verbrennen lassen. Dann hatten wir die erste Urnenbeisetzung und ich dachte: „Niemals lässt du dich verbrennen.“ Also doch eher Erdbestattung. Jetzt will ich lieber kompostiert werden. Der Wunsch nach individueller Freiheit wächst immer mehr.

Robert: Das ändert sich auch mit der Zeit. Wenn ich jetzt eine Bestattung hätte, wäre sie anders als in 30, 40, 50 Jahren, wenn ich vielleicht Enkelkinder habe. Es gibt allerdings ein paar Grundzüge, die wahrscheinlich ähnlich wären.

Maria: Bei mir wird es auf jeden Fall ein Fest werden. Ich will, dass geweint, gelacht und getanzt wird. Viele bunte Farben und Glitzer soll es geben. Es gibt viel zu wenig Glitzer auf dieser Welt.

Was mir jedoch darüber hinaus wichtig geworden ist: Ich will bestimmen, wer danach an meinen Körper darf. Ich hätte vorher nicht erwartet, dass mich dieser Gedanke so triggern würde.

Könnt ihr noch mehr sagen zum Umgang mit den Verstorbenen?

© Ab unter die Erde
© Ab unter die Erde

Robert: In einem Fall wollte eine Mutter ihren erwachsenen Sohn waschen und ankleiden. Aber der Bruder meinte: „Mama, ich glaube, er fände es nicht so cool, wenn du ihn noch mal nackt siehst.“ Er war schließlich keine 12 mehr. Wir haben einen Kompromiss gefunden: Als Bestatter haben wir ihn gewaschen und angezogen mit neutraler Distanz und sie hat ihm die Haare gemacht. Sie konnte etwas tun, hatte Zeit mit ihrem Sohn, konnte liebevoll mit dem Körper umgehen und sich verabschieden. Er war dabei nicht bloßgestellt.

Hier könnte man sagen, dass er es ja gar nicht mitkriegt. Aber sich um solche Aspekte Gedanken zu machen, ist wichtig für uns.

Maria: In Amerika ist es so üblich, dass alle Frauen für die Bestattung einen BH angezogen bekommen. Eine Frau hat sich darüber aufgeregt und das Thema aufgeworfen, weil sie das unter keinen Umständen wollte. Warum muss es ein Totenhemd geben? Warum darf es nicht meine Lieblingskleidung sein? Dann immer mit den Vorgaben der Krematorien zu kommen, finde ich schwierig.

Robert: Es stimmt nämlich nicht. Du kannst anziehen, was du möchtest. Die Bestatter verkaufen Totenhemden, die wie Nachthemden von früher aussehen, mit Satin und Rüschen im schlimmsten Fall. Wer trägt sowas? Die Leute haben doch Kleider zuhause. Eine Frau hat ihre Bikerklamotten von uns angezogen bekommen. Der kleine Junge hat einen süßen Anzug getragen bis hin zum Fahrradtrikot bei Hannes – alles ist möglich.

Ihr habt berichtet, dass ihr als Bestatter die Menschen lange Zeit begleitet, sich daraus sogar Freundschaften entwickeln. Wann endet eure Arbeit? Wie lange haltet ihr Kontakt?

Robert: Es ist wie in jeder Beziehung, solange es beide Seiten wollen.

Maria: Wir veranstalten zweimal im Monat die Abschiedsbar, wo wir über Verlust, Trauer und Tod sprechen können. Bei dieser Veranstaltung ist Raum, um über Verstorbene zu sprechen oder über das, was man an ihnen vermisst oder wie sich das Leben ohne sie entwickelt hat. Manche Menschen blühen erstmal auf, andere verdrängen. Manche brauchen sehr lang. Ich selbst habe nach dem Tod meines Vaters die ersten zwei Wochen sehr stark getrauert und bin erst viele Monate bis Jahre später wieder in bestimmte Trauerphasen reingekommen. Vorher hatte ich einfach keine Zeit dafür. Dementsprechend sind die Stationen der Trauernden sehr unterschiedlich.

Mit der Abschiedsbar halten wir immer die Tür offen. Dort müssen die Leute kein schlechtes Gewissen haben, dass sie uns noch „auf die Nerven gehen“. Sie wissen, sie können kommen und da sein.

Wir haben auch die Idee, Kochkurse für Witwen und Witwer anzubieten, denn wir sehen Bedarf an solchen Aktivitäten. Corona hat viele Abschiedssituationen negativ beeinflusst. Da kann man neu ansetzen, um beispielsweise Rituale nachzuholen.

Möchtet ihr noch etwas zum Thema sagen, dass euch besonders wichtig ist?

Robert: Wir gründen – sofern das Finanzamt mitmacht – einen Verein mit dem Namen „GrabPartyMoos“. Wir wollen zum einen Spenden sammeln für Menschen, die sich eine Bestattung nicht leisten können. Solche Sozialbestattungen bieten für Freunde und Familie nicht viel Freiheit und Möglichkeiten, um Abschied zu nehmen. Das betrifft zum Beispiel Menschen, die Angehörige pflegen. Es frisst dein Budget auf, wenn du aufgrund der Pflegesituation nicht arbeiten gehst. Oder bei Menschen, die auf der Straße lebten – die haben ebenfalls Freunde und eine Community, die sie tagtäglich gesehen und mit denen sie Kontakt gepflegt haben. Auch die verarbeiten einen Verlust. Um diese Lücke zu füllen, haben wir den Verein gegründet.

Außerdem wollen wir eine Leichenhalle bauen, die nicht so aussieht wie die Standardkühlung, mit der wir uns nicht anfreunden können. Denn es handelt sich dabei um die immer gleich aussehende Kühlzelle mit weißen Wänden und Edelstahl. Darin sind leider nicht nur Särge, sondern die Menschen werden auf Blechen in weißen Säcken im Regal gelagert, Füße voran.

Wir würden gern ein Erdhügelhaus bauen, das rund ist, wo niemand in der Ecke liegt, sozusagen. Alle sollen in Särgen gelagert sein, sodass es schön ist und man hingehen kann – auch um Aufklärungsarbeit zu leisten. Wir wollen dort zeigen, dass der Tod zwar traurig ist, aber es nicht schrecklich sein muss. Außerdem wollen wir dort mit Angehörigen ohne weiteres reingehen können, um Tote zu versorgen, ohne ein schlechtes Gefühl wegen der Räumlichkeiten zu haben. Das ist unsere Vision.

Maria: Vielleicht kann dort auch eine Kompostierung stattfinden. Die Unterstützer stehen schon in den Startlöchern und warten nur noch auf das Go des Finanzamtes.

Ich drücke euch die Daumen, dass das Finanzamt einen Turbo einlegt und ihr damit loslegen könnt! Ganz herzlichen Dank – liebe Maria, lieber Robert – für das Gespräch, die vielen Einblicke in eure Arbeit und eure Offenheit.