Messe-Bericht: Leben und Tod 2024 in Bremen

Die Messe LEBEN UND TOD bringt so einiges zusammen: Ungewöhnliche Urnen treffen auf Harfenmusik für die Seele, an einer Ecke gibt es die Ausbildung zum Trauerredner an der anderen ist ein großer Stand für Shiatsu-Massagen. Kinderhospiz, Probeliegen im Sarg, Diamanten aus menschlicher Asche, Beerdigungsclown, nachhaltige Bestattungen, Entrümpler… – und diese Aufzählung kratzt nur an der Oberfläche. Es ist kaum möglich, alle Facetten einzufangen, die zum breiten Spektrum dieser Messe zählen. Die meisten vereint, dass es sich um Themen handelt, die leider allzu oft in unserer Gesellschaft tabuisiert und aus dem Blick des Alltags verbannt werden. Vom 3. und 4. Mai 2024 war ich in der Halle 5 der Bremer Messe unterwegs, um Dir einige Eindrücke, Fragestellungen, Schicksale und Blickwinkel von dieser außergewöhnlichen Veranstaltung vermitteln zu können.

Was steckt hinter der Messe LEBEN UND TOD?

Seit 15 Jahren ist die Messe die bundesweit einzige Veranstaltung mit einer Mischung aus Fachkongress und Messe für Betroffene, Angehörige, Interessierte und vor allem diejenigen, die sich beruflich mit Themen rund um das Lebensende beschäftigen. Dadurch wird sie zu einer wichtigen, deutschen Plattform für den Austausch von Informationen, Erfahrungen und Meinungen rund um Themen wie Palliativmedizin, Hospizarbeit, Trauerbewältigung, Bestattungskultur, Vorsorge und vieles mehr. LEBEN UND TOD bietet Vorträge, Workshops, Ausstellungen und Informationsstände verschiedener Organisationen und Unternehmen, die sich diesem breiten Spektrum zurechnen lassen. Damit beleuchtet die Messe eine Sparte, die bedauerlicherweise und trotz ihrer alltäglichen Relevanz eher ein Schattendasein führt.

Das Motto der diesjährigen Veranstaltung, die in Bremen und im Oktober in Freiburg umgesetzt wird, lautet übrigens: „Halt braucht Wurzeln! Resilienz & Selbstsorge in der Sterbe- und Trauerbegleitung“.

Erste Messe-Impressionen von der LEBEN UND TOD

Als Berichterstattende schwirren mir vor dem Messe-Besuch einige Fragen im Kopf herum. Unter anderem: Wie sind die Menschen so, die „mit dem Tod arbeiten“? Ein paar von ihnen durfte ich bereits kennenlernen, aber wie wird sich das (Menschen-)Bild auf der Messe spiegeln? Die ersten beiden Besucherinnen erkenne ich auf der Busfahrt zu den Messe-Hallen. Ich spreche sie an und erhalte die Bestätigung, dass sie zwei Hospizmitarbeiterinnen sind. Insgesamt bilde ich mir ein, zu merken, dass viele der Anwesenden auf der Veranstaltung ordentlich Lebens- und zudem entsprechende Leidenserfahrung haben und diese ins Positive umzukehren verstehen. Der Leopardenfellmuster-Hut eines Mannes gefällt mir besonders. Mir begegnen außerdem zahlreiche Frauen, die in knalligen Farben gekleidet sind, zum Beispiel auffällige rote Brillengestelle tragen. Auf der Damentoilette begrüßen mich fröhliches Gekicher und Scherze einer Frauengruppe. Vielleicht stimmt es: Wer dem Tod regelmäßig ins Auge blickt, weiß das Leben noch mehr zu schätzen?

Auch der erste Eindruck von der Messe an sich, ist mehr als positiv. Es ist offensichtlich, dass die Fachveranstaltung sich über die Jahre hinweg gut etabliert hat. Alles läuft professionell und reibungslos ab. Das Bestehen der Messe ist trotzdem nicht selbstverständlich. Um die Veranstaltung zu erhalten, wird die Trägerschaft 2024 von der Ahorn Gruppe übernommen, mitsamt dem Team rund um Projektleiterin und Begründerin Meike Wengler.

Volles Messe-Programm an zwei Tagen

Die Auswahl der Themen und Referenten der Vorträge und Workshops ist so vielfältig wie stimmig, mit Schwerpunkt auf dem bereits genannten Motto. Die Beliebtheit der LEBEN UND TOD zeigt sich darin, dass über 5.200 Privat- und Fachbesuchende teilnehmen. Zudem sind die eineinhalbstündigen Workshops mit Inhalten wie „Nur wer gut für sich sorgt, kann gut für andere sorgen“, „Wie Resilienz uns durch traurige Tage tanzen lässt“ und „Psychohygiene als Burnout-Prophylaxe“ im Vorfeld bereits ausgebucht gewesen.

Unbegrenzt ist der Zugang zu den offenen Vorträgen auf der Hauptbühne und zu den Fachvorträgen. Letztere umfassen Bereiche wie „Innere-Kind-Arbeit im Licht der Psychosynthese“ und „Die Rolle der eigenen Motivation als Motor der ehrenamtlichen Tätigkeit“. Für mich war der Fachvortrag von Birgit Janetzky (Trauerreden Campus) sehr interessant: „Endlos empathisch und konstant kreativ – Passen Trauerbegleitung und Künstliche Intelligenz zusammen?“ Sogar so interessant, dass dazu in Kürze ein eigener Artikel erscheint. Die deutsche Trauerbegleitungs-App grievy war mit einem Stand ebenfalls vor Ort in Bremen.

Experten auf der Hauptbühne

Den ersten Messetag habe ich hauptsächlich den Vorträgen auf der offenen Bühne in der Messehalle gewidmet. Einen guten Ein- und Überblick liefert am Morgen das Zwiegespräch zwischen Markus Starklauf (Leiter der Hospizakademie Bamberg) und Rainer Simader (Leiter Bildungswesen bei HOSPIZ ÖSTERREICH), das unter dem Titel „Let’s talk about death, baby!“ lief. Der Bogen, den die beiden zur Thematik Qualität am Lebensende spannen, reicht weit: vom ganzheitlichen Menschenbild im Palliativwesen über die letzten Gedanken und Wünsche von Sterbenden bis zur Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung. Mir bleibt die Geschichte einer Frau in Erinnerung, die Angst davor hatte im Himmel ihrem gewalttätigen Ehemann wiederbegegnen zu müssen und das Beispiel einer besonderen Aktion in einem Londoner Hospiz: Dort nähten Studenten einer Modeakademie Kleider für sterbende Frauen, die aufgrund von Operationen nichts Passendes zum Anziehen fanden. Auf einem Catwalk mit Live-Musik präsentierten sie ihre Mode – ein Gänsehautmoment allein beim Zuhören.

Von Lebenskrisen, Arztgesprächen und dem Einkleiden von Leichen

Es folgen viele weitere faszinierende Persönlichkeiten, die auf ihre ganz eigene Art unterschiedliche Schwerpunkte abdecken. Oft will ich nur kurz reinhören, bleibe dann aber doch jedes Mal sitzen. Über jeden einzelnen der sieben Vorträge, die ich an diesem Tag höre, ließe sich ein eigener Artikel schreiben. Zum Beispiel über den sehr offenen und inspirierenden Mutmach-Talk „Wie ich der wurde, den ich mag“ mit wertvollen Lebenslektionen von Theologe und Autor Pierre Stutz. Wie er über seine eigene Biografie, den Krieg gegen sich selbst berichtet und daraus ableitet, wie wir „die Angst vor der eigenen Größe verlieren, ohne dabei größenwahnsinnig zu werden.“ Ich nehme für mich unter anderem mit, dass es darum geht, zu sich selbst Ja zu sagen mit allen Verletzungen, Begrenztheiten und Prägungen und auch, dass wir im Leben beides brauchen: Freiheit und Geborgenheit.

Die Präsentation von Jalid Sehouli, Chefarzt für Gynäkologie an der Berliner Charité, über die „Kunst schlechte Nachrichten zu überbringen“ liefert eine aufschlussreiche Perspektive. Mit seiner direkten Art nimmt er seine Kollegen und die eigenen Fähigkeiten bezüglich der Kommunikation zwischen Arzt und Patienten unter die Lupe. Mich amüsieren seine Erkenntnisse, dass Ärzte es nicht gewohnt seien, Kritik auszuhalten und keine Stille im Gespräch ertragen könnten. Und mich überrascht der Satz gegen Ende, das es wichtig sei, gute Nachrichten mit den Patienten ebenfalls zu feiern.

In weiteren Talks geht es darum „Das Sterben zu lernen“ (Sabine Rachl), in dem wir uns beispielsweise Kindheitsängsten widmen, die sich später als Todesängste zeigen können und eine Playlist mit Lieblingsliedern für unsere letzten Tage zu erstellen. Ich höre „Sarggeschichten“ von Sarah Benz und Katrin Trommler über die persönliche Begegnung mit dem Tod und selbstbestimmtes Abschiednehmen. In ihrem neuen Buch zeigen sie zum Beispiel anhand von gestellten Fotos, wie sich ein starrer Leichnam ankleiden lässt und dass sich auch von in einem Tuch eingewickelten Verstobenen Abschied nehmen lässt – wenn der Anblick sonst zu schmerzhaft wäre. Zum Schluss sorgt Britta Ullrich mit ihrer „Soulshine-Sketchnotes“-Methode noch einmal für Anregungen zu mehr Freude, bewusst genutzten Energiequellen und Kreativität. Für den Ausklang beim gemeinsamen Singen bin ich schon zu erschöpft nach all dem Input. Über den Messe-Platz fegt ein ordentlicher Wind, der mir den Kopf etwas freipustet.

Im Gespräch mit den Messe-Ausstellern

Am zweiten Messe-Tag widme ich mich den Ausstellern mit ihren Produkten und Angeboten. Vor der Messe können beispielsweise eigene Grabsteine in Gips gefertigt werden. Hier berichtet mir Günter Wiedemann, Palliativmediziner und Bildhauer, von seinen Gruppenprojekten mit Sterbenden. Dann zieht es mich vor allem zu den Anbietern von Trauerschmuck und Trauergeschenken, da es dazu bald einen eigenen Artikel geben wird. Darunter sind etablierte Unternehmen, die seit Jahrzehnten aus menschlicher Asche Diamanten herstellen, genauso wie einzelne Kreative, die aus persönlicher Betroffenheit ihre Arbeit begonnen haben. Außerdem spreche ich mit Autorinnen wie Marlene Lippok („Der Tod und Ich – Buddies forever“), lerne Claudia Drechsler kennen, die Fotografie für Abschied und Trost anbietet, spreche mit Bestattern, Hospizmitarbeitern, Tatortreinigern und Anbietern von nachhaltigen Bestattungsmethoden.

Obwohl ich nur einen Teil der 140 Ausstellenden abdecken konnte, bin ich um einiges Wissen und Aha-Momente reicher – als hätten sich hinter vielen Türen viele neue Welten eröffnet.

Einer der intensivsten Momente ist sicherlich, als ich das Angebot des Bundesverbandes Trauerbegleitung wahrnehme, mich in einen Sarg zu legen, dessen Deckel für zehn Sekunden geschlossen wird. Auf dem weichen Kissen liegt es sich angenehm, die Begrenzung durch das Holz gibt Halt. Doch als es dann dunkel wird und der Messelärm nur noch gedämpft zu mir durchdringt, spüre ich ein Gefühl von Endgültigkeit. Es ist keine Panik, aber für diesen kurzen Augenblick auf sich selbst zurückgeworfen zu werden, ist eine intensive Erfahrung. Ich bin froh, dass es schnell wieder vorbei ist.

Promi-Talkrunde als abschließender Höhepunkt

(c) Ahorn Kultur GmbH/dots&boxes Victoria Müller
(c) Ahorn Kultur GmbH/dots&boxes Victoria Müller

In jedem Fall hätte sich der Besuch der LEBEN UND TOD allein schon für den Promi-Talk am letzten Tag gelohnt. Auf der Bühne sprechen für eineinhalb Stunden Entertainerin Annie Heger, Kriminalist Axel Petermann, Schauspieler Samuel Koch und (mit etwas Verzögerung) Komikerin Gaby Köster. Es geht um die existentiellen Themen: chronische Krankheiten, Unfälle, Schicksalsschläge, Existenzängste und Mord. Die Runde führt deutlich vor Augen, dass jeder Mensch in jeder Lebenssituation – unabhängig von Status und Bekanntheit – sein Päckchen zu tragen hat.

Aber vor allem darum, was durchhalten lässt und Zuversicht schenkt. Die Moderatorinnen Nici Friederichsen und Meike Wengler lassen die Gäste über ihre persönlichen Energiequellen sprechen. Auf Annie Hegers Kraft-Liste stehen beispielsweise Essen („Die Welt ist immer besser, wenn wir etwas gegessen haben“) und ihr Glaube. Axel Petermann hilft das Schreiben, seine Familie, das Fotografieren und die Gartenarbeit. Auch Samuel Koch hat eine Liste mit Punkten, die ihm je nach Situation und Phase wichtig waren. Darauf zu finden sind die Menschen, die ihm nahe stehen ebenso wie Dankbarkeit, Sanftmut, Reisen, Glaube und Kreativität. Bei Gaby Köster wird es noch konkreter: Zitronenduft ist für sie zu jeder Zeit eine Art Heilmittel, das sie sofort an Sommer und Sonne erinnert.

LEBEN UND TOD – Messe-Fazit

Ich merke, dass der zweite Messe-Tag mit den unzähligen Gesprächen mir leichter gefallen ist. Im direkten Austausch mit den Menschen zu sein, hilft bei der direkten Verarbeitung der doch oft sehr schweren Themen. Am ersten Messe-Tag haben mich vor allem die Praxisbeispiele rund um früh verstorbene Eltern und Kinder bis zu Tränen bewegt. Das Sterben gehört bei mir – im Gegensatz zu vielen der Anwesenden – nun mal nicht zu meinem tagtäglichen „Geschäft“. Umso wichtiger und wertvoller sind all die Erkenntnisse der letzten zwei Tage. Wir sollten definitiv mehr über die Endlichkeit und deren lebensbejahende Aspekte sprechen. Einen geeigneten Startpunkt stellt diese Messe dar.

Ich kann Dir wirklich nur empfehlen, Dir ein eigenes Bild von der Veranstaltung zu machen. Gerade als Privatperson, die sonst mit den genannten Themen weniger in Berührung kommt, bieten die facettenreichen Aussteller und die offenen Vorträge wichtige Informationsquellen und sorgen hoffentlich auch dafür, Ängste und Vorurteile abzubauen.

Für mich selbst wünsche ich mir zudem, dass der Besuch mich wieder einen Schritt weitergebracht hat, mich mit dem Gedanken an meine Endlichkeit anzufreunden und daraus positive Schlüsse dafür zu ziehen, welche Richtung ich meinem Leben gebe. In jedem Fall habe ich nach zwei Tagen LEBEN UND TOD noch nicht genug. Passenderweise befindet sich mein Hotel in Bremen direkt am wunderschönen und absolut sehenswerten Friedhof Riensberg. Dort mache ich am Samstagabend einen langen Spaziergang, um die Gedanken zu sortieren und lausche darauf, ob die Toten noch etwas beizutragen haben.

Die nächste LEBEN UND TOD-Messe findet am 18. und 19. Oktober 2024 in Freiburg statt.